Drei Religionen – ein Haus
In Berlin entsteht etwas weltweit Einmaliges: Christen, Juden und Muslime wollen hier ein House of One errichten, unter dessen Dach eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee vereint sind. In ihrer Mitte verbindet sie ein zentraler Raum der Begegnung. Ein Haus des Gebets und des Austauschs über die Religionen, aber auch offen für alle anderen, auch für Schachspieler!
Die Emanuel Lasker Gesellschaft veranstaltete im Januar im Weltsaal des Auswärtigen Amtes ein Schach-Friedensturnier. Es war eine Simultanveranstaltung, um das Projekt House of One zu unterstützen. Das gemeinsame Gotteshaus für die drei monotheistischen Religionen entsteht in Berlin am Petriplatz (siehe www.house-of-one.org). Das Simultan gaben Anna Endress, fünfmalige deutsche Jugendmeisterin, sowie Alisa Frey, die für die Friedberger Burgfräulein in der 1. Damen-Bundesliga spielen. 20 Bretter waren für Kinder und Jugendliche reserviert.
Mit dem Event sollte auch um finanzielle Unterstützung für das Projekt geworben werben. Für eine Spende in Höhe von 10,- € ist ein symbolischer Baustein erhältlich. Benötigt werden über fünf Millionen derartiger Bausteine für die Kirche. Jeder Stein zählt und hilft.
Als Kirchenvertreter wurden Imam Kadir Sanci sowie Pfarrer Gregor Hohberg begrüßt, die unmittelbar mit dem Bau des House of One zu tun haben. Im Lichte der jüngsten Terroranschläge in Frankreich erhielt die Veranstaltung eine besondere, aktuelle Brisanz. Bei der Eröffnung dankten die Organisatoren dem Auswärtigen Amt, das seine Räumlichkeiten für die Veranstaltung zu Verfügung gestellt hatte.
Über 60 Schachfreunde und Interessenten nicht nur aus Berlin und Umgebung, sondern auch aus verschiedenen Bundesländern hatten sich eingefunden. Nicht alle spielten mit, aber etwa 50 von ihnen wurden beim Simultan aktiv. Viele Kinder waren mit Begeisterung dabei, aus Halle kamen Dr. Tanja Pflug und ihr sechsjähriger Sohn Sören. Dort gibt es seit 2013 den Verein Kinderschach in Deutschland e.V. Er fördert das Schachspiel in Kinder- und Bildungseinrichtungen.
Auch die Hauptakteure der Veranstaltung Anna Endress und Alisa Frey engagieren sich sehr für das Nachwuchsschach. Aktiver Begleiter und Unterstützer der jungen Damen in Berlin war der 1. Vorsitzende der Schachfreunde Friedberg, Martin Herwig-Päutz.
Anna Endress ist 21 Jahre und studiert Jura in Mainz an der Gutenberg-Universität. Sie absolviert gerade das sechste Semester. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, sagte sie uns, aber für Schach und alles was mit dem Engagement dafür zusammenhängt, ist bei Anna auch noch genügend Zeit übrig.
„Die Einladung nach Berlin haben wir gern angenommen. Mit unserer Teilnahme möchten wir das Projekt House of One unterstützen. Durch die Terroranschläge in Paris bekommt die Veranstaltung natürlich noch zusätzliche Bedeutung. Auch möchten wir durch das Simultanturnier mehr Aufmerksamkeit für unseren Verein erreichen sowie für die Schachförderung insgesamt, vor allem aber für das Frauen-und das Schulschach. Also, es gab viele Gründe für uns, nach Berlin zu kommen und diese Dinge publik zu machen.“
Eine Karriere als Schachprofi hat Anna Endress nicht geplant, aber Frauen-Großmeisterin möchte sie schon werden und wieder in der Nationalmannschaft spielen. „Ich war ja schon im deutschen Team, aber musste das wegen des Studiums wieder etwas zurückschrauben.“
Alisa Frey ist 22 Jahre alt und studiert Volkswirtschaftslehre in Köln. Sie begann mit acht Jahren Schach zu spielen und kam über verschiedene Stationen zu Friedberg, wo sie mit Frontfrau Melanie Ohme, Anna Endress und anderen das Frauen-Bundesligateam unterstützt. Für Eppingen setzte Alisa sogar schon in der Herren-Bundesliga die Figuren. Sie möchte gern Internationale Meisterin werden und engagiert sich im Badischen Schachverband als Frauen-Referentin. Für die Berlin-Reise, verriet Alisa, schwänzte sie die Sitzung der Frauenkommission.
Zum Anliegen des Friedens-Simultans sagte sie: „Das House of One ist ein ganz wichtiges Thema, besonders im Lichte der Paris-Anschläge oder der Pegida-Geschichten. Ich habe gelesen, viele Deutsche würden den Islam fürchten. Erstens ist ‘viele Deutsche’ sicher falsch, und zweitens kann man nicht sagen, der Islam. Das ist keine Glaubensfrage, das sind Fanatiker, gegen die man etwas tun muss. Auch so ein Ereignis wie die Geiselnahme in dem jüdischen Supermarkt ist nur schwer zu ertragen. Deshalb ist so ein Projekt wie House auf One sehr wichtig und einfach ein bemerkenswertes Zeichen.“
Der Berliner Pfarrer Gregor Hohberg warb in einer emotionalen Rede für das einzigartige Gotteshaus. Seine Einmaligkeit bestehe darin, dass es der erste Sakralbau in der Welt ist, wo sich eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee unter einem Dach befinden. Und das Ganze mitten in Berlin, im ältesten Teil der Stadt. Die Fundamente der Jahrhunderte alten Petri-Kirche wurden in den Jahren 2007 bis 2009 gefunden und ausgegraben. Mit dem Neubau wollen die Initiatoren in die Zukunft fortschreiten.
„Wir wollen dieses Projekt stemmen“, sagte Gregor Hohberg und betonte: „Zugleich laden wir alle anderen ein, die Interesse haben, dort mitzuwirken, denn die meisten Menschen in dieser Stadt sind ja säkular und gehören keiner Religion an. Aber gerade mit diesen Menschen möchten wir das Gespräch suchen, Ihnen wollen wir uns stellen, zur Diskussion, mit Zweifeln und mit Fragen und gemeinsam an Friedenslösungen arbeiten.“
In der Mitte des House of One soll es dann den geplanten zentralen Bau geben. Er wird das Bindeglied sein von den drei Religionen hin zur Mehrheitsgesellschaft in dieser Stadt. Zugleich soll es der Raum sein, in dem sich die Religionen begegnen, Respekt üben und voneinander lernen können, und in den auch Menschen eingeladen sind, die ganz andere Dinge glauben.
Dann ging es an die Schachbretter. Die Kirchenvertreter spielten ebenfalls mit.
In der ersten Simultanrunde am Vormittag hatten die beiden prominenten Schachdamen einigen Widerstand zu brechen. Anna Endress verlor zwei Partien und gab ein Remis ab. Alisa Frey verlor ein Spiel und teilte viermal den Punkt. Im zweiten Durchgang nach der Mittagspause blieben die Schachamazonen ungeschlagen, jede gestatte nur drei Remis. Die Ergebnisse aber waren diesmal nicht das Entscheidende, sondern das Anliegen des Simultanturniers.
Unter den Mitwirkenden sowie Unterstützern der Veranstaltung wurde auch die Schauspielerin, Sängerin und Buchautorin Vaile Fuchs begrüßt. Sie ist immer dabei, wenn Schach für einen guten Zweck gespielt wird. 2008 war Vaile auch Botschafterin der Schacholympiade in Dresden.
Die Künstlerin sagte: „Jede Religion enthält in ihren Kernaussagen den Gedanken an Liebe, Vertrauen und Menschlichkeit. Wer heute an einen Gott glaubt, kann nicht die Augen davor verschließen, was für ein grauenvoller Fehltritt es ist, im Namen einer Religion zu morden und zu hassen. Die Umsetzung des Projektes ‘House of One’ ist ein Schritt in die neue Welt. In eine Welt, in der jeder Gläubige mit Interesse und Neugier, mit Liebe und Toleranz auf den Anderen trifft, ohne Angst, dieser allzu menschlichen Trennung von Rasse, Geschlecht und Glauben anheim zu fallen. Ohne die Angst vor einem besser und schlechter. Wer eintritt in das House of One, setzt damit ein Zeichen;
ein Zeichen, dass die Götter, wenn sie existieren, uns nach ihrem Bild geschaffen haben – vor ihren Augen alle gleich.“
Alle Teilnehmer empfanden die Veranstaltung als sehr wichtig. Einmal mehr haben Schachspielerinnen und -spieler an diesem Tag mit ihrem friedlichen Spiel ein wichtiges Zeichen gesetzt.
P.S.: Aus einer Reihe von internen Gründen, darunter eine zwischenzeitliche Erkrankung des Autors, kann dieser Bericht erst jetzt erscheinen. Ich bitte daher besonders die sehr engagierten Hauptakteure Anna Endress und Alisa Frey um Verständnis.
Mein Dank gilt auch den Schachfreunden, die mir nach dem Turnier ihre Simultanpartien zuschickten. Hier eine kleine Auswahl.
0-1
Anna Endress – G. Mietzelfeldt
Spanisch C90
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Le7 4.0-0 Sf6 5.d3 0-0 6.c3 d6 7.Sbd2 Sa5 8.Lb5 a6 9.La4 b5 10.Lc2 c5 11.Te1 Sc6 12.Sf1 h6 13.Sg3 Sh7 14.d4 Sg5 15.Le3 Sxf3+ 16.gxf3 Lg5 17.dxc5 Lxe3 18.Txe3 dxc5 19.Td3 Dc7 20.De2 Le6 21.Tdd1 Tad8 22.De3 Se7 23.Se2 Sg6 24.Lb3 c4 25.Lc2 De7 26.f4 exf4 27.Sxf4 Dg5+ 28.Sg2 Dxe3 29.Sxe3 Sf4 30.a4 Tc8 ½–½
Anna Endress – J. Deschner
Caro-Kann B19
1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Lf5 5.Sg3 Lg6 6.h4 h6 7.Sf3 Sd7 8.h5 Lh7 9.Ld3 Lxd3 10.Dxd3 Sgf6 11.Lf4 e6 12.0-0-0 Sd5 13.Ld2 Dc7 14.Kb1 0-0-0 15.Se4 S7f6 16.Sxf6 Sxf6 17.De2 Ld6 18.g3 a6 19.Se5 Lxe5 20.dxe5 Sd5 21.c4 Se7 22.Lc3 Txd1+ 23.Txd1 Td8 24.g4 c5 25.Td6 Sc6 26.Dd2 Td7 27.f4 Dd8 28.Txd7 Dxd7 29.Dxd7+ Kxd7 30.Kc2 Se7 31.Kd3 Sg8 32.Ke4 Kc6 33.g5 Kd7 34.Ld2 Se7 35.a3 b6 36.b4 Sf5 37.Le1 Kc6 38.Lf2 Se7 39.Lh4 Sf5 40.Lf2 Se7 ½–½
Anna Endress – B. Riess
Caro-Kann B17
1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Sd7 5.Sf3 Sgf6 6.Sxf6+ Sxf6 7.Lf4 Lg4 8.Le2 e6 9.h3 Lh5 10.c3 Le7 11.Se5 Lxe2 12.Dxe2 0-0 13.0-0 Tc8 14.Tad1 Da5 15.a3 Tfd8 16.Sd3 Dh5 17.Dxh5 Sxh5 18.Le5 Sf6 19.Tfe1 b6 20.f4 Td7 21.g4 Tcd8 22.Lxf6 gxf6 23.Sb4 Lxb4 24.axb4 c5 25.bxc5 bxc5 26.Te4 f5 27.Te2 fxg4 28.hxg4 cxd4 ½–½
1-0
0-1
Dagobert Kohlmeyer