80 Jahre und kein bisschen leise: Interview mit Gerhard Mietzelfeldt
Von Dagobert Kohlmeyer
Als nimmermüder Organisator und Förderer des Schachs hat er sich nicht nur in der Hauptstadt einen Namen gemacht: Gerhard Mietzelfeldt, der Ehrenpräsident des Berliner Schachverbandes, wird heute 80 Jahre alt. Den meisten Schachfreunden ist der Jubilar vor allem als Vater des Kurt-Richter-Gedenkturniers bekannt. Diese Tatsache allein wäre Grund genug für ein Interview.
Der schachliche Lebensweg des Fragestellers ist eng mit dem von Gerhard verbunden, schrieb ich doch im Frühjahr 1981 anlässlich des 1. Richter-Turniers meinen ersten größeren Artikel über ein Schachereignis. Dass sich daraus einmal eine berufliche Tätigkeit ergeben sollte, war damals nicht abzusehen. Hier soll es aber um Gerhard Mietzelfeldt gehen. Wie sich in unserem Gespräch zeigte, ist der Mann ein Multitalent, nicht nur in Sachen Schach.
Wie entstand Deine Begeisterung für das königliche Spiel?
Die Schacholympiade 1960 in Leipzig war der Beginn meiner Schachkarriere. Von da an konnte ich nicht mehr loslassen. In den 1960er 1970er Jahren absolvierte ich alle Stufen der Schiedsrichter- und Übungsleiterausbildung, unter anderen bei Bruno Ullrich. So war ich dann an der Organisation und als Schiedsrichter bei Berliner Turnieren und Meisterschaften, später auch bei DDR- und Länderwettkämpfen beteiligt.
Das Kurt-Richter-Gedenkturnier ist untrennbar mit Deinem Namen verbunden. Wer kam damals auf die Idee, es zu veranstalten?
1980 war ich als Organisator bei einem Freundschaftskampf gegen die UdSSR beteiligt. Zur anschließenden Auswertung waren auch der Präsident des Deutschen Schachverbandes
der DDR, der Berliner Vorstand und einige Spitzenspieler der DDR vertreten. Beim Thema Breitensport wurde die Einführung eines Volkssportturniers angeregt. Vorschnell meinte ich, dass das nicht so schwer sein dürfte. Und schon hatte ich es an der Backe. Großmeisterin Edith Keller-Herrmann schlug vor, anlässlich des 80. Geburtstages von Kurt Richter ein Gedenkturnier zu organisieren.
Was ein großer Erfolg wurde.
Das kann man laut sagen. Das erste Turnier fand unter meiner Regie mit 102 Teilnehmern in einer voll ausgestatteten Neubauschule in Berlin-Marzahn statt. Es kam sehr gut an, und in den folgenden Jahren wuchsen die Teilnehmerzahlen. Sie waren immer dreistellig. Bis zur Wende 1990 erfreute sich das Kurt-Richter-Turnier großer Beliebtheit, insgesamt waren es 2.177 Teilnehmer. Nach der Wende fanden nur wenige Turniere statt, mit etwa 450 Teilnehmern. In den „Ruhejahren“ gab es fünf stark besuchte Kinder- und Jugendturniere zu Ehren Kurt Richters, dort war Michael Rätsch sehr aktiv. 1999 erkämpfte z.B. Atila Figura in der Klasse U 12 den ersten Platz.
Du wirst nicht jünger, Gerhard. Wie steht es um die Zukunft des Traditionsturniers?
Seit drei Jahren läuft die Veranstaltung wieder regelmäßig unter der Regie der SG Narva. Ich werde inzwischen von Thomas Mothes und vielen anderen Mitstreitern des Vereins tatkräftig unterstützt. Man muss ja die Arbeit in jüngere Hände legen. Ich hoffe, dass unser schönes Turnier auch 2017 wieder ein Erfolg wird. Das Interesse ist nach wie vor sehr groß. Es nehmen ja bis heute auch immer Schachfreunde teil, die nicht in Berlin wohnen.
Wir können jetzt nicht alle Meriten von Dir aufzählen, Gerhard, aber Du warst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Vorsitzender des Bezirksfachausschusses Schach (BFA), also der Schachpräsident im Ostteil der Stadt. Wie sind Deine Erinnerungen an die Vereinigung mit dem Westberliner Schachverband im Jahre 1990?
Gleich nach dem Öffnen der Mauer trafen Alfred Seppelt und ich uns mehrmals, um den Weg für die Vereinigung beider Schachverbände abzustecken. Bereits im Dezember 1989 fand ein Freundschafts-Städtekampf Ost gegen West an über 20 Brettern in einer Friedrichshainer Schule statt; am ersten Brett spielte Seppelt gegen Mietzelfeldt.
Auf einer Versammlung aller Berliner Vereine wurde durch Beschluss der Weg zur möglichst schnellen Vereinigung beider Verbände auf gleichberechtigter Grundlage geebnet. Die Vorstände in beiden Stadtteilen wurden beauftragt, dies zu verwirklichen. Von den Ostberliner Vereinen erhielt ich zusätzlich hierzu eine schriftliche Vollmacht. Das gab mir die Kraft, die Ausarbeitung einer neuen Satzung und einer neuen Turnierordnung zu fordern. Viele Stunden waren dazu erforderlich. In Arbeitsgruppen mit jeweils drei West- und drei Ostberliner Vertretern wurde das Ziel erreicht. Ich selbst war bei allen Zusammenkünften dabei.
War es ein Zusammenschluss auf Augenhöhe?
Ja, und rückblickend kann ich sagen, wir haben das ganz gut hinbekommen, auch wenn viele Widerstände überwunden werden mussten. Es ging ja darum, die gemeinsame Berliner Mannschaftsmeisterschaft vorzubereiten. Schließlich kamen wir überein, alle Staffeln mit je fünf Ostberliner und fünf Westberliner Mannschaften zu besetzen. Wir haben hart, aber fair verhandelt, es war ein Zusammenschluss auf Augenhöhe, kein Beitritt des östlichen Teils.
Sicher keine leichte Sache.
Nein, es war kein einfaches Unterfangen, galt es doch die unterschiedliche Zahl der Mannschaften, die unterschiedliche Spielstärke und die bisherige Klasseneinteilung in Ost und West zu berücksichtigen. 31 West- und 36 Ostvereine, über 2.800 Spieler und ca. 250 Mannschaften mussten unter einen Hut gebracht werden. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände gab es eine Reihe von Vereinen mit sogenannten „Überhängen“, das heißt, es gab Mannschaften mit zehn oder mehr Ersatzspielern.
Gab es gar keine Widerstände?
Einige wenige Proteste hat es auch gegeben. Ich suchte etwa zehn Vereine auf, und die Wogen konnten geglättet werden. Schließlich gab es keine bessere Lösung und nach Vorliegen der Ergebnisse des ersten gemeinsamen Spieljahres war ohnehin alles normalisiert. Die praktische Festlegung der Klassen und Gruppen nahm von Ostberliner Seite Kai-Uwe Melchert vor, der hier Schwerstarbeit leistete. Vielen Dank!
Wann begann der gemeinsame Spielbetrieb?
Nach Zustimmung aller Vereine zu diesen Festlegungen konnte am
14. Oktober 1990 die erste Runde der gemeinsamen BMM beginnen.
Welche anderen Schach-Ämter hattest Du noch?
Ich war viele Jahre Schiedsrichter von der Oberliga bis zur Bundesliga und an der Organisation von wichtigen Meisterschaften beteiligt, darunter die Norddeutsche Blitzmeisterschaft sowie die Deutschen Schülermeisterschaften
in Bad Homburg, in Templin und in Biedenkopf.
Was nur wenige wissen ist, dass Du auch eine künstlerische Ader hast. Lass hören…
Ich habe mal ein Schachmusical erarbeitet und dazu bekannte Melodien genutzt. Wir führten es mit 36 Kindern der 2. bis 6. Klasse an der Sonnenblumenschule
in Berlin-Baumschulenweg auf. Eltern hatten die Kostüme genäht, bei der Texteinübung halfen Horterzieher.
Du warst von Beruf Mathe- und Physiklehrer und gabst in der Freizeit und auch später als Rentner gern Schachunterricht.
Da kam viel zusammen. Ich habe nicht nur Schulkinder in Berlin-Treptow unterrichtet, sondern auch 120 Erzieher der unteren Klassen und im Kindegarten. Das waren 40-Stunden-Seminare zum Thema „Der Beitrag von Schach und anderen strategischen Spielen für die Persönlichkeitsentwicklung.“ Diese Kurse habe ich nicht nur in Berlin, sondern auch in Dresden und Neubrandenburg abgehalten.
Gerhard, Du kannst auf ein reiches Leben als Schachspieler und -organisator zurückblicken. Wie feierst Du den 80. Geburtstag?
Heute ganz privat im engsten Familienkreis und ein paar Tage später mit meinen Schachfreunden von der SG Narva.
Happy birthday, lieber Gerhard, und bleib gesund!
P.S. Am 22. Juli 2016 wurde Gerhard Mietzelfeldt zu seiner großen Freude vom Berliner Schachverband
für seine Arbeit beim Zusammenschluss beider Berliner Schachverbände zum Ehrenpräsidenten ernannt. Es passierte natürlich am Rande des Kurt-Richter-Turniers. So schließt sich der Kreis.
Dagobert Kohlmeyer
Dagobert hat mir erlaubt ein paar eigene Zeilen seinem Interview mit Gerhard hinzuzufügen. Meine Schach”karriere” begann nämlich just in den Februartagen des Jahres 1981 mit dem 1. Kurt-Richter-Gedenkturnier (KRGT). Als 16-jähriger vereinsloser Zehntklässler ahnte ich damals noch nicht, wie sich das mit mir entwickeln würde. Und das ich einige Jahre später als Mitglied des BFA bereits Geschichte mitschreiben würde, auch wenn ich im Vereinigungsprozeß nicht direkt eingebunden war.
Wochen oder Monate vor dem Turnier las ich vom KRGT in einer Berliner Tageszeitung. Ich lebte damals noch bei meiner Mutter in Hönow und mein Stiefvater hatte das ND (“Neues Deutschland”) und die “Berliner Zeitung” abonniert. Ich glaube in letzterer stand die Annonce vom BFA mit der Werbung für das 1. Kurt-Richter-Gedenkturnier in der Marzahner Bruno-Baum-Straße. Neun Runden Schach an zwei Wochenenden in den Winterferien! Ich meldete mich mit einem Klassenkameraden (Uwe Kayser) per Post beim BFA im Hausvogteiplatz 12 an und fieberte voll Vorfreude dem ersten richtigen Schachturnier in meinem noch jungen Leben entgegen. Endlich einmal durfte ich meine Spielstärke mit richtigen Profis messen, darunter mit Peter Welz und Horst Strehlow sogar zwei Meisteranwärter.
Die Eröffnung fand im Erdgeschoss der Schule im Speisesaal statt. Die Auslosung wurde bekanntgegeben und die 102 Spieler verteilten sich auf die Klassenräume in den darüberliegenden beiden Etagen. Meine erste Partie an diesem Freitagabend konnte ich gewinnen.
Sonnabend und Sonntag wurden jeweils zwei Runden gespielt. Während der Pause nach der zweiten Runde, freundete ich mich mit meinem gleichaltrigen Gegner Mathias Franke an. Wir hatten uns remis getrennt. Mit seinem Kumpel Ralf Krause (damals beide aktiv in Strausberg) und Uwe überbrückten wir den Leerlauf bis zur Nachmittagsrunde mit Blitzschach. Wir durften uns nur nicht erwischen lassen, wenn wir dazu die Turnieruhren mißbrauchten. An den Folgetagen hatte wohl immer einer eine private Uhr dabei. Womit wir einigermaßen sicher vor der Turnierleitung waren.
Zu einem Schachturnier gehört natürlich auch immer die Frage: Wer wird wohl mein nächster Gegner sein? Auch mich trieb es so ein paarmal in Richtung Lehrerzimmer, wo die heiligen Turnierorganisatoren residierten. War die Tür verschlossen, traute man sich nicht zu stören. War die Tür offen, konnte man aber genauso eine Abfuhr erleiden. Gerade während der Auslosung wollte so eine Turnierleitung nicht gestört werden. Das lief ja damals alles noch per Hand. Da wurden die einzelnen Spielerzettel auf einem großen Tisch hin- und hergeschoben, bis es bis zur letzten Paarung stimmte. Oder auch nicht. Wenn jemandem auffiel, daß Müller schon gegen Meier gespielt hat, mußten die Paarungen ab da wieder neu vorgenommen werden.
Wer damals die Leute in der Turnierleitung waren, wußte ich natürlich nicht. Die meisten taten sehr wichtig, wobei die einen wohl wichtiger waren als andere. Und Gerhard Mietzelfeldt, den ich erst einige Jahre später richtig kennenlernte, war als BFA-Vorsitzender wohl der Wichtigste. 36 Jahre später feiert er nun heute seinen 80. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, Gerhard!
Ohne Dein Kurt-Richter-Gedenkturnier wäre meine kleine Schachkarriere wohl anders verlaufen.
Frank Hoppe