Geburtstagsschnellturnier des BSV-Präsidenten
Carsten Schmidt wurde 40 Jahre alt und lud sich aus diesem Anlaß Freunde und Weggefährten ins Schachcafé “en passant” zu einem kleinen Schnellturnier ein. Es war nicht die erste Veranstaltung dieser Art für den seit März 2010 den Berliner Schachverband anführenden nun Vierzigjährigen. Bereits zu seinem 33. Geburtstag hatte er sich Schachfreunde eingeladen, wobei sein damaliger Ehrentag von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet blieb.
Endlich darf Carsten nun auch beim Brunner Brunner-Hit “Wir sind alle über 40” mitsingen: “Wir sind alle über vierzig, hab’n im Leben nichts vermißt. Tiefe Spuren in unsren Herzen, tausend Sünden im Gesicht. Die nächsten hundert Jahre, die liegen noch vor uns. Wir sind alle noch am Leben.”
Seit 17. Dezember gehört Carsten zum Kreis der Auserwählten. Was eine 4 in der Zehnerstelle des Lebensalters bedeutet, erfuhr ich vor rund sechseinhalb Jahren am eigenen Leib. Ich hatte mir – auch auf Druck meiner Erzeugerin – die ganze Bagage in ein Restaurant geladen, was mir nicht nur hämische Verse (“alter Sack”) sondern auch ein finanzielles Manko einbrachte.
Getränke und Speisen frei gab es bei Carsten zumindest im “en passant” nicht – jedenfalls nicht bedingungslos. Alle Turnierteilnehmer durften sich aber wenigstens auf eine spesenfreie erste Turnierrunde einrichten, ein Teilnehmer durfte sich zudem auf einen besonderen Preis freuen: die Übernahme aller Verpflegungskosten in Sven Horn‘s Etablissement! Doch ausgerechnet dieser Preis, genannt “Der Deckel”, wurde bei der abschließenden Siegerehrung gemieden. Dazu später mehr.
“Business as usual” – “Alles wie gewohnt” hieß es bei Sven Horn. Gesundheitlich stark angeschlagen öffnete er auch an diesem 2. Januar sein Schachcafé. Das Los eines Selbständigen ohne Angestellte. Auch mit dem Kopf unter dem Arm muß Geld verdient werden. Dabei hatte er sich selbst nach Weihnachten ein paar freie Tage gegönnt und dann aber nicht ausgespannt, sondern eine strapaziöse Reise zu einem Schachturnier in Erfurt angetreten. Statt daheim zur Ruhe zu kommen, saß er nun den ganzen Tag am Schachbrett und delirierte vor sich hin. 2,2 Punkte unter Erwartung (in 8 Partien) und 47 DWZ-Punkte Verlust waren das Ergebnis. Auf der Rückfahrt im übervollen Zug trat ihm Julian Urban mitleidsvoll seinen eigentlich für sich reservierten Sitzplatz ab.
Die ersten Gäste konnte Carsten nach 13 Uhr im “en passant” begrüßen. Einige hatten Geschenke mitgebracht, obwohl dafür ausdrücklich keine Pflicht bestand. Besonders herzlich empfing Carsten seinen ersten Trainer Günter Scharfe – wenn er nicht gewesen wäre, hätte es dieses Geburtstagsturnier nicht gegeben. Auch andere Schachfreunde und besonders -freundinnen konnten sich der Umarmung Carsten’s nicht entziehen.
Der für 14 Uhr angestrebte Turnierbeginn verzögerte sich etwas. Carsten wartete noch auf seinen Vereinskameraden Joachim Lißner. Der kämpfte mit dem Notfallplan der S-Bahn, den diese an diesem Sonntag in Kraft gesetzt hatte. Um Viertel Drei war Joachim nur noch wenige Hundert Meter vom Schachcafé entfernt. Die erste Runde würde erstmal ohne ihn beginnen, sein Gegner Heinrich Burger konnte sich noch eine Auszeit leisten.
Bei der Turniereröffnung bat Carsten die Spieler ausdrücklich, daß man ihn nicht schonen möge. Auch er würde niemanden mit Samthandschuhen anfassen.
Am Brett sah das freilich ganz anders aus. Da verteilte Carsten Geschenke: drei volle und drei halbe Punkte. Darunter auch ein halber gegen Laura König. Hier mußte Carsten allerdings kräftig nachhelfen, um sich von seinem ehemaligen Schützling friedlich trennen zu können – sehr zum Gaudi der Kiebitze.
In Runde 1 wurde Carsten kurz nach Beginn seiner Partie gegen Werner Koch von Sven Horn unterbrochen. Joachim Lißner war inzwischen eingetroffen, hatte sich aber auf dem letzten Meter auf glattem Gehweg unfreiwillig in eine unstabile Seitenlage begeben. Mit blutender Kopfwunde wurde er vom Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht, wo er hoffentlich nur ambulant behandelt werden mußte. Nähere Informationen zu seinem Zustand waren bei Redaktionsschluß nicht bekannt.
Im Turnier war nach vier Runden nur noch ein Teilnehmer ohne Verlustpunkt: Stefanie Schulz, amtierende Berliner Meisterin. In der Folgerunde nahm ihr Favorit IM Drazen Muse den ersten halben Punkt ab. Danach kam es am ersten Brett zum Duell mit ihrem Vater Michael. Friedliche Punkteteilungen sind im Hause Schulz verpönt. Michael gewann und trübte damit Stefanie’s Freude auf einen möglichen Turniersieg deutlich. Drazen Muse kommentierte das bei der Siegerehrung mit einer fiktiven BILD-Schlagzeile: “Vater schlägt Tochter”.
Drazen war dann auch derjenige, der den größten Nutzen aus der familiären Auseinandersetzung zog. Er gewann das Turnier vor Michael, Stefanie und Heinrich Burger.
Noch einmal zurück zum “Deckel”. Bei der Preisverteilung gingen fast alle Prämierten diesem Gewinn aus dem Wege. Das mag zuallererst daran gelegen haben, daß der persönliche Getränkekonsuum eher geringfügig war. Die Meisten werden bis dahin null bis ein Getränk auf ihrer Rechnung gehabt haben – der Anreiz für den “Deckel” war entsprechend gering. Laura König, die Jüngste, mußte ihn schließlich nehmen. Es war nichts anderes mehr da.
An der Bar wurde die “Deckel”-Rechnung dann noch etwas vergrößert – auch durch Gäste, die sich von Laura einladen ließen – zum Wohlwollen von Carsten.
Frank Hoppe