Anmelden
Archiv
Kategorien

Schachfreunde Grand Prix 2015

Die Woche davor war bei mir recht arbeitsam, wie man dem ausufernden „Bericht“ (welches René Schildt auf der BSV-Seite so nett umschrieb mit „Bericht vom 20. Pfingstopen aus der Perspektive des Turniersiegers“) entnehmen kann (nur der Länge desselben, wie man allein schon an der Aufsplittung in sieben Teile ersehen kann; selbstverständlich muss ich vom Studium selbst abraten). Dennoch klang die Woche aus mit den gewissen Highlights des freitäglichen Schnellschachturniers beim Schachclub Kreuzberg, dem sonnabendlichen „Muss“ der kleinen Reise nach Ströbeck (einst von mir ebenfalls mit einem Bericht bedacht mit der Überschrift „Einmal Ströbeck – immer Ströbeck“, was genannter Verpflichtung Nachdruck verleiht) sowie dem sonntäglichen Abschluss der Schnellschach Grandprix Serie des Berliner Schachverbandes mit dem eindeutig stärksten Turnier, jenem bei den Schachfreunden Berlin.

Da meine Berichte sich doch erkennbar um Selbstbeweihräucherung drehen (irgendeine Antriebsfeder muss es doch geben, wenn man pekuniär so rein gar nicht profitiert?), dieselbe gleich hier vorweggenommen (und nicht so viel „beating about the bush“ davor, was sich, soeben rasch nachgeschaut, auf folgende sechs hübsche Arten so übersetzen ließe: „Ausflüchte machen“, „sich herumdrücken“, „hinterm Berg halten“, „nicht zur Sache kommen“, „mit der Sprache nicht herauswollen“ und „ nur langsam an eine Sache herangehen“). Am Freitag in Kreuzberg kam ich auf 7 aus 7, am Samstag in Ströbeck waren es 12.5/13, am vierten Brett, hinter Philipp Lerch 9.5/13, Sergej Kalinitschew 12/13, Ulf von Herman 12.5/13), was erneut den Streit entflammen ließ, wer denn nun im nächsten Jahr an 4 spielen dürfe/müsse, Ulf oder ich, und wir beide darauf beharrten, dass jeder das höhere Anrecht darauf hätte. Ich hatte das schlagende Argument, dass er die gleiche Punktzahl am höheren Brett hatte und somit sein Ergebnis eindeutig besser wäre, er also vor mich gehört, während er darauf bestand, ein Mal auf Verlust gestanden zu haben, und zwar klarer als ich, weil es mir, im Konter, nämlich auch einmal passierte.

Kurios in dem Zusammenhang: es wird mit mechanischen Uhren dort gespielt, die Figuren passen selten zusammen. Ich hatte 11 aus 11, als mir das kleine Malheur passierte. Figur weg. König stand auf Matt. Da war nichts mehr zu machen?! Zeit wurde knapper. Gegner wackelte enorm. Plötzlich Figur wieder weg bei ihm, Mattnetz halbwegs aufgehoben. Beide knapp an Zeit, natürlich. Ein Riesenbock von mir. Einzügig Matt! Gegner sieht nicht. Wieder Figur weg, aber spielt keine Rolle mehr, die letzten Sekunden. Mein Gegner haut auf die Uhr, diese fliegt vom Brett und zerspringt auf dem Boden. Er hebt die Reste auf und meint „beide Blättchen sind unten; darf ich Remis anbieten?“. Ich kenne die Regeln überhaupt nicht, nahm aber das Remis lachend an. Durch waren wir ohnehin schon, bei 9 Brettpunkten Vorsprung (welche maßgeblich sind).

Bin grad ein bisschen aus dem Takt gekommen. Wie lautete die Überschrift gleich noch? Ich schau grad mal. Schachfreunde Grand Prix. Ach ja.

Die Kapazitätsgrenze war auf 95 Teilnehmer angesetzt. Die Lokalität bei den Schachfreunden, in der Bülowstraße, schon sehr gut geeignet, hell, geräumig und es kommt viel Luft herein (ist im Rathaus nicht ganz so leicht mit Letzterem). Da die Woche gut ausgefüllt war (man bedenke, dass man von Kreuzberg am Freitag nicht vor 1 Uhr nach Hause kommt, der Wecker aber bereits um 4:30 Uhr wieder klingelt; Ströbeck beginnt um 9 Uhr und ist drei Stunden entfernt; ich kam auf gute zwei Stunden Schlaf), hatte ich mich nicht vorangemeldet. Meine Grandprixpunktausbeute war bis dahin wohl eh schon ausreichend für die Teilnahme am Finale, die Trauben hängen extrem hoch hier sowieso, was einen Geldpreis sowohl wie überhaupt nur einen einzigen der begehrten Punkte (für alle, die noch nicht ausreichend hatten) einzuheimsen angeht, die Erschöpfung ausreichend groß, so dass ich es dem Schicksal überließ, ob ich die Variante „für Kurzentschlossene“ wählte. Sohn Ben-Luca war ebenfalls mit in Ströbeck, erzielte dort in der D-Gruppe am ersten Brett 7 aus 9 (es waren fünf Spieler, die geringe Anzahl Partien Folge der Rotation), was so weit ok war, hatte in der Nacht davor gar keinen Schlaf („Hey, D, was hältst du davon, die Nacht durchzumachen?“) , so dass ich nicht einmal auf ihn zu 100% zählen konnte, was verkörperten Enthusiasmus anging.

Er wollte aber, unbedingt, so dass wir denn doch gegen 9:45 aufbrachen, mit der Absicht, früh zwei der freien Plätze zu ergattern. Denn tatsächlich war es einmal im Rathaus Schöneberg, vor etwa drei Jahren, als etliche Spätkommer tatsächlich draußen bleiben mussten. Meine Anrufe bei Lars Thiede und Rainer Polzin (gegen 9 Uhr) blieben unbeantwortet, da diese sicher bereits „Aufbauarbeit“ leisteten.

Bernhard Riess richtete gerade seinen Computer ein, die Schlange war kurz, es gab gar keine Diskussion, wir waren dabei, zwei der ersten vor Ort Angemeldeten. Alles easy. Gut gefüllt waren die Räumlichkeiten dennoch zu so früher (10:15) Stunde schon, was darauf schließen ließ, dass einige andere „Wackelkandidaten“ ebenfalls der Ansicht waren, a) sehr gerne dabei zu sein und b) dass es eng werden könnte. Entpuppte sich als Irrtum, denn am Ende waren es „nur“ 66 Spieler, die zum Turnier antraten.

Meine Vermutung: die so arg hohe Dichte starker Spieler an der Spitze des Feldes lädt nicht zwingend die zweite bis dritte Reihe der Schachspieler Berlins im Sinne einer „echten Herausforderung“ ein zum Spiel sondern schreckt stattdessen ab. „Meine Abreibungen hole ich mir lieber hier zu Hause im Internet, da bleibt das anonym“ könnte ein Motto sein. Starke Besetzung ist toll, freut jeden Veranstalter, aber nicht jeder Amateur fasst das direkt als Einladung auf mit dem Credo „da muss ich bei sein“. Ist ja nur eine Vermutung, wobei ich dagegen auch keine Abhilfe wüsste. Die Kategoriepreise sind längst Usus, mit gutem Recht, wordurch jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten, Preischancen hätte. Auffällig allerdings, wie bereits bei der Turniereröffnung anklang, dass keine einzige Dame den Weg zur Bülow fand. Es waren zugleich sehr wenige Jugendliche, geschweige denn Kinder am Start. Diese bedauerliche Begleiterscheinung härtet den oben angesprochenen Verdacht.

Überhaupt werfe ich ja gerne mal die Frage auf, inwieweit das Messen mit höherrangigen Spielern diese Herausforderung darstellt beziehungsweise inwieweit es einen abschreckt, eine Pleite vorhersehen zu können. Das ist zum Teil sicher vom grundsätzlichen Charakter abhängig. Lieber eine 0 in einer Partie, da man ohnehin die Außenseiterrolle hat, mit der kleinen Aussicht, einem Favoriten ein Bein zu stellen oder lieber ein Sieg gegen einen Schwächeren, der dann vielleicht doch, außer dem Punkt, keine endgültige Befriedigung darstellt? Zugleich hängt es vom Alter ab. Ein Jugendlicher kennt die Grenzen noch nicht, hat sie nicht erreicht, steckt sich nicht einmal welche. Da ist das Messen mit höherwertiger Gegnerschaft, im Aufstieg begriffen, eine Selbstverständlichkeit, und sie ist unbedingt förderlich, Teil der Entwicklung. Spielklassen werden teils mehr als eine in einem Jahr übersprungen, es trennt sich Spreu vom Weizen. Wer mithalten kann, schon in diesen jungen Jahren, gerät zwangsläufig an noch bessere Spieler, wodurch die Grenzen dann allmählich ausgelotet, erkannt und gesteckt werden. Für den älteren Schachspieler gilt dies aber nicht. Er hat seine Grenzen längst kennen gelernt, ist meist, wenn mit etwas, dann mit dem Bestätigen seiner Zahl beschäftigt, nicht aber mit dem Anstieg, dieser wäre Utopie. Warum sich den Gegnern aussetzen, bei welchen man schon spürt, dass sie für diesen einfachen Punkt dankbar sind, sie kurzen Prozess machen, die Pause nutzen, anstatt dass man sie auch nur ansatzweise ins Schwitzen bringen kann, geschweige denn sie zu einer Nachbetrachtung ans Brett bekäme? Vielleicht hat der eine oder andere (weit Unterlegene) gar das Gefühl, für seine unbeholfenen Bemühungen belächelt zu werden?

Spitze also breit, stark, gigantisch, Breite so lala, Geschlechtermix null, Altersmix unausgewogen. Ich und kritisch? Laut Nachdenken darf man doch mal?

Ich gehöre persönlich viel mehr zu der Kategorie „Angsthase“. Ich möchte keine Nullen haben, egal, von welch gigantischem Gegner ich meinen Enkeln später berichten könnte. „Ich hab mal gegen Loek von Wely gespielt.“ „Wie ist es ausgegangen?“ „Ich habe gegen ihn gespielt. Reicht das nicht?“ Für mich eine kleine Überwindung also eine derartige Teilnahme. Mein Freund C. sagte damals in Hamburg, 1982, immer zu mir am Morgen vor der Turnierpartie, als wir ein Zimmer teilten und das Hamburger Schachfestival sehr stark besetzt war: „Dirk, aufstehn, Nuller abholen.“ Würde ich heute antworten: „Nee, kein Bock. Ich bleib liegen.“ (klappte damals übrigens, im Zuge meiner Grenzauslotung und hiesigen Angeberei, sehr selten, den Nuller abzuholen, denn am Ende war ich auf 7).

Turniergeschehen gab es an diesem Sonntag, dem 31. Mai 2015, na klar. Trotz meiner Angsthasenmentalität gibt es ein paar kleinere Lichtblicke, die mir hier und da zeigen, dass ich im Konzert dieser Großen hier dennoch eine der ganz kleinen Geigen in die Hand gedrückt bekommen habe – und ab und zu ein Tönchen von mir geben darf, selbst wenn schief und falsch.

Einmal durfte ich an Brett 3 ran, einmal an 4, letzte Runde an 6. Brett 1 war fast durchgehend fest in Martin Krämers Händen, wobei er nach seiner Niederlage gegen den ganz stark aufspielenden Martin Brüdigam in Runde 7 dies räumen musste, meine ich? Wann immer ich jedenfalls bei Martin B. schaue hat er eine gute Stellung. Wenn man mit ihm eine Variante durchgeht, hat er sie gesehen – nur noch etwas mehr. Ich bin noch immer ohne Sieg gegen ihn, trotz einiger guter Chancen und einiger sensationeller, hier und da chaotischer Partien. Wo sollen die Schwächen liegen, dass er nicht noch weiter oben anklopfen kann? Sympathisch allemal, und immer objektiv, die Chancen des Gegners sehend und richtig einschätzend. Für mich also kein Zufall, dass ihm das Kunststück gelang, den Turnierfavoriten zu schlagen, wobei ich in dem Falle weder eine Stellung noch einen Verlauf kenne. In der letzten Runde das jähe Ende des Durchmarschs, als der Schweizer Gambit Künstler Jakob Meister genügend Reserven aufgespart hatte und Martin in die Knie zwang. Rang 3 dennoch ein gigantisches Ergebnis in diesem Feld, vermutlich Dimensionen einer GM-Norm?

Jakob katapultierte sich so auf 2. Natürlich allen Respekt vor ihm, Schweizer Gambit hin oder her (war aber auch in Lichtenrade, beim Tempelhof-Cup schon so): er hat als GM natürlich alle Voraussetzungen und die nötige Härte, in entscheidenden Momenten voll da zu sein. Martin Krämer setzte sich am Ende doch noch durch, dank besserer Wertung, aber zwei Remisen und eine Niederlage dürften nicht ganz nach dem Geschmack des auf diesem Level Erfolgs verwöhnten sein? Platz 1 ist Platz 1 und dürfte am Ende ausreichend Trost darstellen.

Auffällig noch Werner Reichenbach, von dem ich weiter unten etwas mehr erzähle. Tatsächlich ist er so vital und immer aufgedreht, schaut auf alle Bretter, sieht alles, hört alles, riecht alles, schmeckt alles, weiß alles, dass man meinen könnte, er fiele alle paar Wochen mal in einen Jungbrunnen. Alle anderen im Schlussklassement (bis so etwa Rang 13 herum…) hätten natürlich ebenfalls eine ehrende Erwähnung verdient, lasse ich heute aber mal aus. Was jedoch auffällt bei Blick auf die Rangliste, ist die Vielzahl der Titelträger und deren Anordnung: bis Platz 24 sind alle GM, IM, FM aufzufinden und lediglich zwei Nicht-Titelträger, die sich dazwischen gemogelt haben. Beide keineswegs zufällig, denn Erfolgsgeschichten allenthalben, zugleich beide mit jeder Menge Spielpraxis zur Zeit. Deshalb gesondert erwähnt der 15. Platz von Vitalij Major (wo man ebenfalls weiter unten einen kleinen Auszug aus seinem Turnier bekommen kann, im Duell mit Ben) und René Schildt, der sich von niemandem, auch keinem noch so hochrangigen GM, seine Ideen vermiesen lässt. Er spielt, was er für richtig hält, dabei schon stets auf der Suche nach der ungewöhnlichen Lösung, hat seine Ideen und Pläne, selbst wenn ein Experiment oder ein toller Plan mal total in die Hosen gehen sollte. Genau so charakterisierte ich ihn übrigens schon bei unserer ersten Begegnung vor etwa sechs Jahren, nur hat sich diese Einschätzung mit weit mehr Leben gefüllt. IM Drazen Muse sagte einmal über ihn: „Der Junge ist gefährlich, vor allem hat er Ideen, eigene Ideen.“

Bei der Niederschrift hier hatte ich eigentlich in aller Bescheidenheit zunächst mit der Aufzeichnungen meiner eigenen (und Bens, soweit verfügbar) Partien begonnen. Der nun folgende Teil also dieser ursprüngliche Teil des „Berichts“ (war ja erst einmal nur für mich, weil ich es für wert hielt, einige der faszinierenden Stellungsbilder festzuhalten). Insofern hier nun tatsächlich nur meine Perspektive, die in dem Falle sehr weit entfernt von jener des Turniersieger ist, wegen am Ende Rang 14…

Nach so einem Finale kann man doch die Erkenntnis gewinnen: sollen sie ruhig alle das Londoner System spielen?! Leichter gewinnen geht jedenfalls kaum.

Ein ziemlich übler Rückschlag, zumal ich mich eigentlich gut fühlte und sauber rechnete. Warum passiert Derartiges immer wieder, wenn man gegen einen höher bewerteten Spieler spielt? Das ist viel mehr die Frage, die man sich stellen muss. Immer cool bleiben, so sollte das Motto sein, und nüchtern und mit Vernunft die Stellungsgegebenheiten berücksichtigen, so gut man es eben kann. Der größte Fehler: á tempo ziehen, nach dem Motto „Na und? Habe ich doch gesehen. Nimm diesen hier!“ ist einfach nur blödsinnig, dumm. Geschehen ist es dennoch.

Falls ich in der Stellung oben das viel besser 1. Df4-c7 gespielt hätte, wäre aus meiner Sicht von „Vorteil Schwarz“ keine Rede mehr. Der Se4 muss ziehen, dann nimmt die Dame auf c6 mit Schach. Irgendwer muss dazwischen. Falls es der Turm täte, käme Dc8+, mit Zugwiederholung. Falls es der Springer täte, könnte man gar Dd6 ins Auge fassen, was die Rochade unterbindet. Wo Vorteil?

Eine glückliche Rettung, eine verdiente Rettung? Als hartnäckiger Verteidiger sage ich natürlich: verdient. Werner hat aber seine ganze Kraft demonstriert.

Ein paar Runden später kam ich gegen René Stern, an Brett 3 aufgerückt, mit je 4.5/6. Bereits etliche Schlachten mit ihm geliefert, schon ganz früher, nicht immer nur mit schlechten Ausgängen für mich, im Gegenteil, mit einer vermutlich oberhalb der von der Elo-Differenz errechneten Erwartung liegenden Ausbeute für mich.

In der nächsten Runde das Kräftemessen mit einem weiteren GM, Mannschaftskamerad Sergej Kalinitschew. Auch er mit positiver Bilanz gegen mich, keine Frage, dennoch einer aus meiner Sicht vorzeigenswerten. Wenn ausgespielt, oftmals auch ein Sieg für mich darunter. Sehr viele Remisen, einige davon nicht ausgespielt, zugegeben, aber auch einige Siege, durchaus welche in wichtigen Partien. Hier gab es absolut kein Taktieren. Wenn einer was wollte, dann konnte es maximal einer sein, das aber nur bei Sieg. Er hatte zudem Weiß, so dass ganz klar war: er will gewinnen.

Sergej Kalinitschew befand sich in der letzten Runde in einer ähnlich misslichen Lage wie ich, als ich erstmals (nach Beendigung meiner Partie) raufschaute. Da Rainer genau so wenig Zeit wie mein Gegner hatte (genau 27 Sekunden) und Sergej gut zweieinhalb Minuten, kann man erkennen, wie groß mein Zeitvorteil gewesen sein muss, denn es war ja auch noch Zeit vergangen seit meiner Aufgabe.

Mein Sohn Ben-Luca hat sich wirklich in letzter Zeit weiter erkennbar verbessert. Die Eröffnungsexperimente haben die positive Begleiterscheinung, dass er vom ersten Zug an über die Stellungen nachdenkt. Da wird niemals mechanisch irgendetwas heruntergespult, allein schon wegen Unmöglichkeit aufgrund von Unwissenheit. Das hat weiterhin zur Folge, dass eine gegnerische Abweichung einen nicht aus der Fassung bringen kann. Man wüsste ja nicht einmal, dass der Gegner abgewichen ist, vor allem: wovon eigentlich? Ich erkenne zugleich an, dass man hier oder da schon mal eine Variante kennen darf, sogar „erlernen“ ist nicht verboten. Grundsätzlich tut es aber gut, auch im Frühstadium eigene Ideen zu entwickeln. Dass es dabei hier und da mal geschieht, dass er die Grundprinzipien verletzt, wird sich nachteilig auf die Ergebnisse auswirken, aber (dadurch?) den Lerneffekt steigern. „War nicht gut, ich bin eingegangen, mache ich nicht wieder“.

Am Zug befindlich hat man immer diese beiden Möglichkeiten: Einen Zug machen oder aufgeben. Wenn man nicht zieht, wird das Resultat aber das gleiche sein. Man überschreitet die Zeit und hat verloren. Nach einem eigenen Zug besteht ein gewisses Erfordernis (aber keine Pflicht), die Uhr zu drücken und die weitere Option, Remis anzubieten. Damit erschöpfen sich die Freiheiten aber auch schon.

Herr seines Willens bleibt man also mit der Partieaufgabe. Was man sich insbesondere erspart ist, belächelt zu werden, im Höchstfalle demnach eine gewisse Peinlichkeit. Dennoch wäre das Angebot, bei einzigen Zügen Assistent zu spielen, als Gegner oder als Zuschauer, nicht adäquat. Man hätte den Assistierten damit seiner Freiheit in gewisser Weise beraubt. So erkenne ich immer wieder in Stellungen, in denen es „einzige Züge“ gibt an, dass man nachdenkt. Es gibt immer etwas, über das man zumindest nachdenken kann, egal, ob sinnvoll. Deshalb hat sich bei mir längst die Einstellung gewandelt und sich der kleine Witz längst „eingebürgert“. Wenn ich jemanden über einen einzigen Zug nachdenken sehe, stelle ich also direkt die Frage, beispielsweise an einen anderen Zuschauer: „Klar, er denkt darüber nach, ob er aufgeben soll.“ Selbst wenn es ab und an von der Stellung her so rein gar nicht gerechtfertigt wäre.

Man könnte sogar noch eine zweite Begründung zum Nachdenken finden. Genau diese Eigenschaft habe ich sowohl bei Top-Schnellschachspieler Robert Rabiega als auch dem dahinter nur unwesentlich zurückstehenden Sergej Kalinitschew x-Mal beobachtet. Oftmals ist es ein einziger Zug, aber meist der einzige, der Sinn macht, wann dieses Phänomen auftritt. Die Situation die: es gibt nur einen Zug (oder es gibt eigentlich nur einen Zug, der in Frage kommt). Man denkt aber genau hier gründlich nach, um die Folgen möglicherweise so besser (aufgrund der überlegenen visionären Fähigkeiten zum Beispiel) abschätzen zu können, wie es weiter gehen wird. Zugleich aber lässt dies den Gegner in einer gewissen angespannten Unsicherheit. Es hat ein wenig was von „Drohung ist stärker als die Ausführung“. Es kommt sogar die kleine Möglichkeit in Betracht, dass der Gegner durch das Nachdenken des Gegners die Konzentration verliert.

Natürlich geschieht dies speziell in schwierigen Stellungen, in denen der Gegner knapp an Zeit ist. Erwähnenswert aber dennoch, dass es gewisse, nennen wir sie „spieltaktische“ Möglichkeiten gibt, sogar einen einzigen (legalen) Zug nicht auszuführen.

Bei Ben-Luca war die Sache natürlich etwas anders. Wobei auch die Diskussion hierüber zwischen uns geführt wurde. Es gab nämlich den Moment, da er behauptete, gar nicht gesehen zu haben, dass der Turm auf g5 schlagen könne. Da meldete ich denn doch gewisse Zweifel an. Und so wie das Gespräch weiter verlief, denke ich, dass ich damit nicht so falsch lag. Man denkt halt, es ist Matt, das ist schon möglich, und au weia und nicht aufgepasst oder so. Aber man sieht schon, dass es noch den einen Zug gibt.

Was wären die Folgen gewesen, falls er die alternative Option 2. Td5xg5 gezogen hätte? 2. … Tg1xg5 Patt und Remis. Es ist unausweichlich. Den Turm weg zu ziehen wäre für Schwarz absolut sinnlos, da ja sogar der Bauer h5 weg wäre (ohne das Ergebnis damit auf den Kopf zu stellen; Remis ist Remis).

Schade, doch, aber kurioserweise war hier die Partieaufgabe die fehlerhaft gezogene Option, die für die eigens empfunden Peinlichkeit sorgen könnte. „Wieso gibst du denn auf? Wenn du den Bauern schlägst ist es im gleichen Zug Remis?“ „Oh, ach ja, ich Dummkopf.“

In der letzten Runde ereilte ihn ein ebenfalls unerfreuliches kleines Schicksal, gegen einen weiteren starken Gegner.

Ob der Gegner die Annahme als Entgegenkommen verstanden wissen wollte oder ob er es sich wirklich nicht zutraute, in 35 Sekunden ein Schachmatt aufzubauen, oder innerlich davor die Partie schon abgehakt, speziell wegen der Zeit, und so gar nicht mehr darüber nachdachte, dass er sogar gewinnen könnte sind die offenen Fragen, welche vielleicht nicht einmal dringend der Klärung bedürfen. Fakt ist, dass die Partie gegen einen weiteren 2000er bis hierher gut gespielt war (wie der Gegner bestätigte), dass ein wenig Routine und Cleverness vielleicht noch fehlen, aber dass da eine Leistungssteigerung zu beobachten ist, die ihn immer wieder in die Nähe (bis darüber hinaus) guter Ergebnisse gegen ein solches Kaliber bringt. Zum Beispiel besiegte er im Turnier Zoran Filipovic, welcher mit rund 2050 verzeichnet ist.

Durch dieses Remis waren es bei ihm 4.5 Punkte. Das ist ein sehr ordentliches Ergebnis in diesem Feld. Mit einem (sehr leicht möglichen) Sieg in der letzten Runde hätte er zu den Preisrängen in seiner Kategorie aufgeschlossen. Das macht Mut und Lust auf mehr.

Mein persönliches Fazit fällt so aus: eigentlich gut gespielt. Fehler bleiben nicht aus. Der gegen Dennes Abel vor allem aufgrund des Zugtempos ein sehr bedenklicher. Die Partie gegen Marco Baldauf hätte ich nicht aus der Hand geben dürfen. Als seine Dame aktiv wurde gab es noch immer die Möglichkeit, ins Remis einzuwilligen, anerkennend, dass man immer gut dabei war, nicht immer gewinnen kann und dass sich vielleicht irgendwann doch eine gewisse Müdigkeit bemerkbar macht aufgrund der raschen Abfolge (und nie verschmähten Teilnahme) der Turnierangebote.

Zu einem allgemeineren Schlusssatz reicht es vielleicht nur noch in dieser „Standard-„ Form: ich bin nächstes Jahr wieder dabei. Ben sicher auch. Schon ein tolles Turnier in angenehmer Atmosphäre, bei welchem Marcus Gretzer erneut die Rolle des „Küchenchefs“ perfekt ausfüllte, denn ein lustiger Spruch liegt ihm stets auf den Lippen und für Nachschub war kulinarisch immer gesorgt.

Dirk Paulsen