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Schach960 bei den Schachfreunden Berlin

Bei meiner allwöchentlichen Anfahrt zum Turnier bei den Schachfreunden vom Schachtraining aus Rehberge stand diesmal ein recht gewaltiges Hindernis im Wege. Auf der U9, so hieß es bereits bei Anfahrt zum Training, herrsche „unregelmäßiger Zugverkehr“. Als ich auf der Rückfahrt also zu gewohnter Uhrzeit den U-Bahnhof Amrumer Straße betrat, erfuhr ich, per digitaler Anzeige, dass der nächste Zug in drei Minuten erscheinen solle. Kam etwas anders. Es war in etwa wie beim Hase-Igel Rennen. Sobald eine Minute abgelaufen, wurde eine weitere draufgepackt, meist ergänzt mit der Entschuldigung und kurzen Erläuterung über die Lautsprecher. Meinen Sitzplatz hatte ich, zum Züge zählen und den Menschenmassen aus dem Wege gehen, längst auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig eingenommen. Noch war ich, nach Thomas Grzesik, klar „im Quadrat“ für ein pünktliches Erscheinen. Als ich jedoch auf dem anderen Bahnsteig den vierten Zug zählte und die Minutenzahl am anderen Bahnsteig noch immer nicht etwa reduziert war, begann ich bereits ein wenig zu philosophieren: „So schlimm wäre es ja nun auch nicht, mal ein Turnier auszulassen.“ Noch hatte ich ja nicht die geringste Ahnung, was mich dort überhaupt erwartete.

Mein Zug kam auch irgendwann, nur stellte ich umgehend fest, dass dieses unmöglich mein Zug sein konnte. Die Menschen stapelten sich bereits in diesem Zug und da ich niemals anstehen geschweige denn drängeln würde, gab es keine Chance. Der nächste Zug war allerdings einigermaßen leer, und kam tatsächlich die angekündigten drei Minuten nur noch später, so dass ich leise Hoffnung hegte.

Am Zoo wie üblich: 6 Minuten bis zum nächsten Zug. Was für Insider so viel bedeutet: Beine untern Arm nehmen und rennen. Denn: der aktuelle Zug stünde gerade ein. So war es auch und zum Winken kam ich genau pünktlich.

Sofort verständigte ich Marcus Gretzer per mobile phone, denn der nächste Zug sollte um 19:55 kommen, bis Nollendorfplatz etwa vier Minuten fahren, dann ein Fußmarsch von etwa 4 MInuten, so dass ich, Unwägbarkeiten einkalkulierend, meine Ankunft für etwa 20:05 verlässlich ankündigen konnte. Dies erschien mir im Verhältnis zur „Zelanti-Regel“ und dem nicht-gar-so-pünktlichen Erscheinen nebst Drängen auf Mitspielerlaubnis, zum Schaden aller tatsächlich Pünktlichen, und eingedenk der Tatsache, dass ich Marcus sogar bat, meine Uhr in Gang zu setzen, falls es denn früher starten sollte, gerade so vertretbar.

So geschah es denn auch. Zugegeben aber: ich hatte keine Ahnung, welcher Modus oder welche Turnierform an diesem Abend gespielt werden sollte. Ich wusste nur: Mittwoch ist ümma Schachfreunde. Als ich bald nach Eintritt in den Saal etwas von einer “Stellungsauslosung” vernahm, dämmerte mir allmählich, dass Marcus meine Worte aus der Vorwoche möglicherweise zum Anlass genommen haben könnte: “Wann ist denn mal wieder ein 960 Turnier?”

Das Paarungsverfahren schanzte mir für Runde 1 Viktor Molinaer zu, mit den weißen Steinen. Nun ist Viktor ein keineswegs schwacher Spieler, es passiert ihm nur etwas zu häufig, wenn sich die Schlussphase der Partie anbahnt, dass seine Nerven ihm einen Streich spielen und er im Verhältnis zu seiner eigentlichen Stärke ab und an minderwertige Züge, diese gleich in Serie, ausführt, welche hier und da die gesamten Mühen der vorherigen Partiephase zunichte machen.

Unsere Uhr war auf 5 Minuten eingestellt. Ich überlegte zwar kurz, was das zu bedeuten hätte und wie das nun hier durchgeführt werden sollte (18 Teilnehmer, Rundenblitzturnier? Häh?), fragte sogar noch mal kurz nach, ob es richtig wäre mit den 5 Minuten, erhielt aber kein rechte Antwort, da alle bereits in ihre Partien vertieft waren. Nun zog ich, den bei uns vorgegebenen Bedingungen angemessen, schnell. Ich hatte einen gewissen Stellungsvorteil und war bedacht, auf der Uhr nicht in Nachteil zu geraten. Als wir etwa acht Minuten gespielt hatten, schaltete sich Rainer Polzin vom Nebenbrett ein: “Ihr habt die Uhr auf fünf Minuten gestellt, wir spielen aber 15 Minuten Partien.”

Klar, es konnte ja gar nicht sein. Nur fehlte mir die Geistesgegenwart, dies früher zu realisieren, natürlich auch aufgrund meiner Verspätung (welche es entsprechend unmöglich machte, mich mit der Turnierform vertraut zu machen, in einem möglichen Vorgespräch; die Chance, die Mail von Marcus Gretzer vom Vortag ordentlich zu lesen, ließ ich aus; eine bekommen hieß: heute wie auch sonst findet etwas statt, ich bin dabei). Was war nun zu tun? Wir beschlossen kurz: wir erhöhen die Bedenkzeit beidseitig um 10 Minuten.

Die Folgen waren mehrschichtig. Einerseits hatte ich natürlich die Partie mit der für eine Blitzpartie angemessenen Aufmerksamkeit in Verbindung mit Bedenkzeitverbrauch angelegt. Die Entscheidungsphase, welche nun erreicht war, wäre, selbst bei einer Minute Restzeit beiderseits (also ohne Zeitvorteil für mich), möglicherweise recht bald zu meinen Gunsten verlaufen. Mit den nun 10 Minuten (mehr) hatte Viktor natürlich keine größere Mühe, die Stellung zusammen zu halten. Als er übrigens von dem Versehen erfuhr, meinte er sofort: “Dann ist die Partie Remis.” Ich konnte darob nur den Kopf schütteln. Dies dient nur als kleine Vorgeschichte. War das eine Form von falschem Ehrgeiz, irgendwie zu Punkten zu kommen?

Die Stellung blieb also im Gleichgewicht. Das andererseits zu dem einerseits oben fehlte: andererseits war es so, dass die kurze Unterbrechung mit Uhr verstellen natürlich eine gewisse Ablenkung darstellte, so dass der Fokus für einen Moment nicht auf der optimalen Zugwahl lag.

Fakt ist: der von mir ausgeheckte Gewinnplan entpuppte sich als Verlustplan. Mein Läufer war eingesperrt, er konnte ihn erobern. Nun hatte ich zwei Bauern für den Läufer, die Stellung blieb geschlossen. Aber: auf der Uhr war so absolut rein gar nichts los, so dass dieser Teil eines möglichen Vorteils für mich komplett entfiel. Dennoch machte sich bei Viktor die oben beschriebene Eigenschaft bemerkbar: Aufregung wurde seiner Herr.

Er hatte seinen Plan. Er wollte mit seinem König einen Bauern schlagen, wähnte sich somit dem Wieg nahe, kam aber von dem Gedanken wieder ab, wohl realisierend, dass dieser Zug die Stellung verdarb. Unglücklicherweise (aber leider bei ihm nicht erstmals gesehen) hatte er bei dem Zugversuch seinen König bereits berührt. Als er nun einen Läuferzug stattdessen machte, hielt ich es doch für angemessen, ihn um einen Königszug zu bitten. Er lächelte zwar freundlich, bestritt aber den Umstand. Nun habe ich tatsächlich insistiert, den König zu ziehen und meinte, er hätte bereits gewackelt, so sichtbar war die Berührung. Wir diskutierten ein wenig, aber er schien den Umstand doch irgendwie anzuerkennen. Vor allem war die Behauptung, dass er mit dem König einen Bauern im Zug zuvor geschlagen hätte, und er deshalb gewackelt hätte, eine Farce. Wie fadenscheinig diese Behauptung war, kann man der Tatsache entnehmen, dass sich auf dem aktuellen Königsfeld während der gesamten Partie keine Figur von mir befunden hatte, was er selbstverständlich entschuldigend eingestand.

Nun habe ich einen sehr schlichten Vorschlag unterbreitet: “Viktor, komm, machen wir die Partie Remis.” Das empfinde ich als durchaus fair und angemessen und denke, dass in den meisten Streitfällen eine derartig friedfertige Übereinkunft die beste Lösung darstellt. Man hat nicht verloren, das gilt für beide, und irgendeine Form von Recht wird jeder für seinen Standpunkt schon haben.

Man konnte seine Aufregung in dem Moment nicht ganz interpretieren, da auch sein Deutsch nicht von sämtlichen Makeln frei ist. Seine Reaktionen bleiben im Prinzip freundlich, es könnte aber auch sein, dass es ziemlich brodelt. Er wollte aber kein Remis. Stattdessen sagte er: “Aber du verlierst die Partie.” Nun hätte ich durchaus einen beliebigen Königszug seinerseits akzeptiert, wonach er mir seine geplante Gewinnführung halt hätte demonstrieren müssen. Nur kam er urplötzlich doch auf den absurden Gedanken, mit seinem König meinen Bauern zu schlagen, und setzte mit diesem Zug, in gewisser Weise triumphierend, die Uhr wieder in Gang.

Selbstverständlich hätte ich in dem Moment alles Recht gehabt, die Partie zu gewinnen. Mein Bauer war durch, ich bekam im übernächsten Zug eine neue Dame, er stand kurz vorm Matt. Das Remis hatte er (wohl mit Recht, rein nach der Stellung) verschmäht, die Partie fortgesetzt mit einem Königszug, wie von mir verlangt, also dies somit akzeptierend, wir spielten also weiter, ich gewänne. Als er aber gerade aufgeben wollte, meinte ich versöhnlich: “Komm, Viktor, machen wir Remis.” Einfach, weil mir klar war, dass es dieses kleine Durcheinander gegeben hat, auch davor schon, mit dem Uhr verstellen (was zwar sicher zu seinen Gunsten war, nur könnte er sehr wohl umgekehrt argumentieren: “Klar war ich danach etwas irritiert”, so etwa aussagend, und dies schwerlich zu bestreiten ist).

Er akzeptierte selbstverständlich jetzt das Remis, und ich gehe davon aus, dass wir nun ebenso gute Freunde bleiben.

Die weiteren Partien gewann ich. Dabei war der Sieg in Runde 4 durchaus mehr als schwierig, gegen Beidal Solivares Tomas, der mir einen Bauern mit einem hübschen taktischen Trick abgeknüpft hatte, welchen er bis ins Endspiel hinein behaupten konnte, bis er dann doch, bei kürzer werdender Bedenkzeit, nach und nach den Vorteil an mich abtrat, als erst der Mehrbauer weg war, dann ein weiterer, und dann meine Freibauern anstatt seines das Rennen machten. Ein wenig Glück dabei, unbestritten.

Nur: es ist eine sehr schlechte und eigentlich von mir abgelegte Eigenschaft, sich während meiner laufenden Partie mit Nachbarbrettern zu beschäftigen. Zugleich hat dieses Gebaren etwas mit Arroganz zu tun sowie mit einer Konzentrationseinbuße, beides unvorteilhaft, selbst wenn in unterschiedlicher Hinsicht. In diesem Falle war das Geschehen zwischen Adis Artukovic und Rainer Polzin am Spitzenbrett aber so faszinierend, dass ich den Blick kaum abwenden konnte.

So gewann ich meine Partie also knapp und den Umständen entsprechend glücklich. Bei Adis gegen Rainer ging es aber so: es ging von spielbar bis nachteilig bis kaum zu halten bis verloren bis total verloren bis undeckbar Matt, all dies aus Sicht des Schwarzspielers, Adis Artukovic. Wobei es vielleicht doch diesen einen Moment gab…

Rainer hatte erst einen, dann zwei Bauern für die Qualität, bei darüber hinaus weithin sichtbarem positionellen Vorteil. Die zwei Bauern, welche bereits mehr als ausreichenden Ersatz boten, bewegten sich zudem unaufhaltsam zur gegnerischen Grundlinie und man konnte von baldigen gigantischen Materialeinbußen bei Schwarz ausgehen. Nun gelang es Adis aber doch, auf seine typische Art, eine Art Gegenspiel zu inszenieren. Natürlich eine Kleinigkeit für einen Großmeister, dieses Unterfangen zu unterbinden — falls da nicht die knapper werdende Zeit wäre sowie die gewisse, von Adis verbreitete Hektik, begleitet von dem (beiderseitigen) Wissen, dass er, Adis, in diesen Phasen bereits viele Schlachten zu seinen Gunsten wenden konnte.

Es schien fast so, in einem Moment, als sollte nun Adis Aufschlag haben. Einblick auf die Uhr hatte ich nicht, aber da tauchte plötzlich ein schwarzer Freibauer auf der vorletzten Reihe auf und der Polzinsche König stand im Kreuzfeuer der schwarzen Schwerfiguren. Dennoch fand Rainer in diesen Momenten die besseren Züge. Adis bot hier Schach, dort Schach, aber meist war eine weitere Figur dabei verloren. Rainer hatte sich inzwischen bei meinem Brett bedient und eine zweite Dame aufs Brett gezaubert, welcher sogar noch eine dritte hätte folgen können. War alles unerheblich, die drei weißen Schwerfiguren (Turm, Dame, Dame, dazu sogar noch ein Läufer, direkt in Königsnähe) sollten gegen die nackte schwarze Dame für ein schnelles Matt sorgen. Der König stand ja offen, alle Figuren waren im Angriff.

Rainer tauschte absurderweise die eine Dame ab, er muss wohl jede Sekunde mit dem fallenden Blättchen gerechnet haben, er schlug dann auch noch mit dem König den letzten schwarzen Bauern, näherte sich damit jedoch nicht dem Matt an. Da der schwarze König noch eine komplette Brettrundfahrt hinter sich gebracht hat — startend auf g7 und endend auf g2, durchs Zentrum dorthin gelangt — kann man nur erahnen, wie viele Züge noch geschehen sind, bevor das anscheinend unvermeidliche doch fest stand: kein Schachmatt, weißes Blättchen unten, 1/2:1/2.

In der Schlussrunde bekam ich es dadurch mit Rainer zu tun, Wir hatten mit Adis zusammen je 3.5 aus 4. Adis hatte es am zweiten Brett mit Matthias Bolk zu tun. Nun ist vielleicht auch in diesem Zusammenhang die kleine Vorgeschichte interessant: Matthias hatte an einem der letzten Dienstage beim Kreuzberger Blitzturnier während der Champions League Partien Chelsea – Barcelona und Real – Atletico, bereits früh Zwischenergebnisse vermeldet. Ich erklärte ihm ausführlich, warum ich daran absolut nicht interessiert bin. Ich schaue die Spiele nachts noch, auf diese oder jene Art (mal Zusammenfassung, mal live, in der Wiederholung, mal auch nur Phasen), ich möchte mir aber gerne vorbehalten, zu welchem Zeitpunkt ich mit Zwischen- oder Endergebnissen vertraut gemacht werde. Spannung erhalten, ok, das war früher extrem, heute nur noch bedingt. Immerhin war es ein deutlich geäußerter Wunsch.

Als er nun um die 80. Minute dieser beiden Partien, meine Bitte ignorierend, erneut mich zwingend einweihen wollte in die Ergebnisse, indem er auch noch sagte: „es steht doch eh alles noch 0:0“, um somit mir anscheinend klar machen zu wollen, dass ich die mir erhaltene Spannung sinnlos erhielte, wurde ich ein wenig energischer. „Da ich bisher noch nicht wüsste, dass es nach 80 Minuten 0:0 stehen wird, würde ich die Spiele zeitversetzt mit exakt gleicher Spannung schauen, als wenn sie live wären.“ Wie auch immer diese Logik funktioniert: seine ging nicht auf, abgesehen davon, dass es eine Bitte blieb, und diese sowohl beachtet als auch missachtet werden kann, je nach Einfühlsamkeit oder Bereitschaft oder Verständnis.

Während die Partie Polzin gegen Artukovic in die Endphase ging, fuchtelte Matthias erneut mit einem Handy herum. Klar: an diesem Abend war das DFB-Pokal Halbfinale Arminia Bielefeld gegen VfL Wolfsburg. Ich sah ihn auf sein Handy schauen, während eigentlich alle Teilnehmer, die schon fertig waren (und das waren nicht wenige) fasziniert dem Geschehen folgten und absolut niemand einen Gedanken an ein DFB-Pokalspiel verschwendete. Zudem war außer Ziehen und Knistern sehr wenig zu hören, und dennoch konnte er nicht an sich halten: „Das gibt´s doch gar nicht.“ Dies wäre mir bereits an Information zu viel und keineswegs „neutral“ (falls dies jemand behaupten sollte: ich habe früher tatsächlich etliche Diskussionen darum geführt, welcher auch noch so beliebige Satz einen Einfluss auf mein Spannungsempfinden haben könne; am beliebtesten war immer der Satz „das musst du dir anschauen“ oder etwas in die Richtung, „tolles Spiel“ oder so ginge auch, und ich musste lange rechtfertigen, inwieweit mir das doch eine unerwünschte Information liefert; meine Aussage war so oder so diese: ich will es aber nicht wissen, weder dies noch das noch irgendwas).

Nun also ermahnte ich Matthias so: „Jetzt fang bitte nicht wieder damit an.“ Undenkbar, dass er sich an das Gespräch aus Kreuzberg nicht erinnert haben könnte. Aber es platzte direkt aus ihm heraus: „Gibt’s doch gar nicht. 4:0.“, ergänzend. Nun konnte ich meinerseits nicht an mich halten. Falls er mir mit der 0:0 Anmerkung tatsächlich eine dröge Nacht erspart haben wollte: was wäre dann die Vermeldung des 4:0? Ich konnte also nicht anders, als mehrere Sätze, wiederkehrend, auf ihn einzureden. Wohl wissend, dass ich damit die Spielenden stören könnte. Rainer ermahnte mich nun seinerseits, natürlich mit durchaus Berechtigung, aber auch mein Labern hatte seine genannten Ursachen.

Nach der Partie wandte sich Matthias noch einmal an mich: ich solle doch froh und dankbar sein, dass wir heute Internet hätten und wir nun stets und ständig über Aktualitäten informiert wären, und so weiter. Als er aber hinzufügte:“ das wäre hier nicht wie in Afrika“ fuhr nun Rainer aus der Haut und ging Matthias, ob dieser doch erkennbar rassistischen (aber natürlich nur für den Moment unüberlegten) Bemerkung, beinahe an den Kragen. „Überleg dir gut, was du sagst, oder willst du gleich hier rausfliegen?“ Klar, auch Rainer war ein wenig unzufrieden mit dem Spielverlauf und hatte sicher die meinerseits mitgelieferte Begründung für die störenden Sprecheinlagen zum Teil Matthias zugeordnet.

Es beruhigte sich zwar wieder recht rasch und Matthias wurde wortkarg, aber doch lag so eine gewisse Spannung zwischen all diesen Akteuren. Auch Adis war natürlich nicht gänzlich unbeteiligt und zumindest Zuhörer.

Nach etwa vier Zügen führte Matthias gegen Adis den recht typischen illegalen Zug aus. Die Rochade ist im 960 tatsächlich ein ab und an etwas irritierender Zug und alle, die sagen „sie kennen die Regeln gar nicht“ meinen, übersetzt, sie verstehen die Rochaderegel nicht. Diese Regel ist zwar, formuliert, aus meiner Sicht recht einfach, aber selbst ich habe neulich eine Partie mit einer falschen Rochade verloren. Die spontane Reaktion damals, von Gegner Michael Glienke: „die Rochade geht nicht, du hast verloren.“ Als wir rekonstruierten, was geschehen war, stellte sich dies heraus: a) ich habe zu unrecht rochiert, b) seine Behauptung war dennoch falsch. Behauptet hatte er, ich hätte mit meinem König schon gezogen. Tatsache war aber, dass ich meinen Turm schon gezogen hatte, von e8, seinem Ausgangsfeld, nach f8.

Meine Erkenntnis damals: das Problem ist durch die NICHT FIXIERTEN Positionen in der Grundstellung, sowohl von König als auch von Turm, dass man an der Stellung auf keine Art feststellen kann, ob eine der Figuren schon gezogen hat, so lange sie sich auf der Grundlinie befinden und der König nicht in der Ecke steht. Im klassischen Schach hingegen könnte diese Art von Fehler nur dann passieren, wenn entweder König oder Turm ihr Ausgangsfeld einmal verlassen hatten, aber danach wieder auf dieses zurückgekehrt wären (denn wer wäre in einer klassischen Partie je verführt, mit einem auf g8 stehenden Turm zu rochieren oder mit einem auf f8 stehenden König?). Diese Fälle sind schon extrem selten, dass man überhaupt einen derartigen Rückkehrzug ausführt, aber falls man es denn täte, wären es bereits zwei Züge mit einer der Figur und würde es so zunehmend unwahrscheinlich machen, dass man an die Rochade dächte.

Die 960-Rochaderegeln, wie ich sie beschreibe, gehen so: König und Turm stehen nach dem Ausführen der Rochade auf den Feldern, auf denen sie auch im klassischen Schach landen. Rochiert mach nach g, landen König und Turm auf g1, f1 bzw. g8, f8, rochiert man nach c landen sie auf c1, d1 bzw. c8, d8. Ansonsten gelten alle anderen Regeln genauso, weder im Schach stehend noch über ein bedrohtes Feld hinweg darf der König bewegt werden. Dennoch: immer wieder Verwirrung darum.

Matthias rochiert also auf die Damenflügelseite, oder wie auch immer ich sie in dem Falle nennen müsste, aber sein König hätte auf c8 landen müssen dazu, sein Turm auf d8. Nach der von ihm ausgeführten Version stand der König auf b8, der Turm auf c8. Adis beanstandete dies. Selbstverständlich, keine Frage, sofern es einem auffällt. Seine Reaktion: „Das ist unmöglicher Zug.“ Er stellte die Figuren zurück auf ihre Felder, stellte sich direkt die zwei Mehrminuten auf der Uhr ein, die Marcus Gretzer vorher für unmögliche Züge als Strafe „verhängt“ hatte.

Während Adis die Uhr justierte fiel ihm ein, dass Matthias ja zugleich den König berührt hatte (vermutlich zuerst, denn auch der Turm wurde es ja sicher) , und er sprach folgenden Satz: „So, zwei Minuten stelle ich mir ein und einen Königszug musst du auch machen.“

Ich fand diese Reaktion seinerseits zwar verständlich und auch absolut regelkonform, andererseits aber behauptete ich auf der Heimfahrt, dass es aus meiner Sicht die Ursache war für seine wirklich später mangelhafte Spielführung. Man hat den Gegner selbstverständlich zugleich angestachelt (der sowieso sicher bereits ein wenig in „Angriffsstellung“ lag, aufgrund der vorherigen Geschehnisse), zugleich aber für sich selbst die Partieentscheidung auf außerschachliche Dinge verlagert, insofern die eigene Konzentration gestört.

Wie auch immer: die Stellung war bald ähnlich nachteilig für Adis wie in seiner Partie gegen Rainer Polzin zuvor. Außer dem zweifachen Bauernminus (ohne Gegengewicht der Qualität diesmal), einer absolut gesicherten schwarzen Königsstellung, und rundherum aktiven schwarzen Figuren, näherten sich diese überaus bedrohlich dem weißen König, der ziemlich nackt, zumindest von Bauern gänzlich entblößt, herumstand. Das konnte einfach nicht gut gehen, alles, was recht ist.

Matthias spielte auch weiterhin präzise und wo er es mal nicht tat, diente es zumindest der Stellungsvereinfachung, welche ihm, obwohl nicht dem Schachmatt, so aber doch letztendlich dem Sieg näher brachte, aufgrund des Mehrmaterials. Auch hier ein Kompliment an Adis: so bedrohlich die Lage auch war: hier kam x Mal in Serie ein wohl bedachter Zug, welcher die Partieentscheidung hinausschob.

Um dies nicht gänzlich zu vernachlässigen: meine Partie gegen Rainer ging recht undramatisch zu Ende:

Ok, ja, klar, ich erinnere den Schluss der Partie Artukovic – Bolk, vollumfänglich, beschränke mich aber nun auf diese Phase: